Es war schon echt witzig. Jedes Mal, wenn meine Schwägerin von ihrem Sportabzeichen sprach, überlegte ich kurz, ob ich das nicht auch machen sollte. Natürlich ohne großen Aufwand, denn für die von ihr beschriebenen Disziplinen würde sich wahrscheinlich noch nicht einmal das Training lohnen.
Ballweitwurf, Standweitsprung, Seilhüpfen, Walken usw. schienen mir relativ leicht bewältigbar. Kinderkacke! Die Frage, die sich nun stellte, lautete nicht: „Schaffe ich das?“, sondern: „Gold mit Schwitzen oder Gold ohne Schwitzen?“ Obgleich ich einen unerschütterlichen Optimismus in mir fühlte, schlichen sich dann aber doch ein paar klitzekleine Restzweifel ein. Dies veranlasste mich trotz mangelnder Notwendigkeit, mit der besten Ehefrau von allen ein paar Minuten in Trainingszeiten zu investieren. Also zogen wir los Richtung Sportzentrum Rosenhöhe. Dort war man auf uns Profisportler bestens vorbereitet. Es war sicher ein wenig Pech dabei, dass wir am heißesten Tag des Jahres loslegten. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Sonne direkt auf die Laufbahn brannte. Der Ascheboden staubte, als ich begann, meine Runden zu drehen. Der mörderische Staub verklebte mir den Gaumen und das Luftholen fiel immer schwerer. Schweißnass und schwer klebte das angebliche Multifunktionsshirt an meinen in letzter Zeit etwas vernachlässigten Muskeln.
Der brennenden Sonne zum Trotz zog ich lässig meine Runden, obgleich ich zugeben musste, dass die Schritte langsam schwerer wurden, dazu stellte sich ein leichtes Seitenstechen ein. Nach einer schier endlosen Laufstrecke kam das Ziel in Sichtweite. Na ja, vielleicht nennen wir es lieber Zwischenziel, auch wenn damit schon mal die ersten 400 Meter hinter mir lagen. Auf einmal kam der Staub auch noch von hinten, was daran lag, dass meine Frau, die natürlich deutlich leichter ist als ich, mich inzwischen zum zweiten Mal überrundete. Selbst mit diesem Tempo lag sie wahrscheinlich noch deutlich über der Bestzeit meiner Mutter, die mit ihren achtzig Jahren immer noch schnell unterwegs war. Aber unter uns Sportlern: Wir wissen halt, dass die ersten 400 Meter immer die schwersten sind.
In dem Gefühl, dass auch die zweite Runde vom Weg her nichts Neues bringen würde, wollte ich meine Kräfte lieber für andere Disziplinen aufsparen. Nachdem ich ein kurzes Liegendstretching durchgeführt hatte, wobei ich wohl kurz eingenickt sein muss, ging es direkt weiter zum 50-Meter-Spurt. Und hier lagen dann eindeutig meine Stärken. Dadurch, dass ich mich über die Ziellinie warf, schaffte ich zumindest die Silbernorm gleich beim ersten Anlauf. Leider vertrug sich die Haut auf meinem Knien nicht allzu gut mit dem etwas scheuernden Sandboden. Aus diesem Grund habe ich die Haut gleich vor Ort gelassen.
So stand ich dann, von den Mühen des Sports gezeichnet, mit blutenden Beinen vor meiner Frau. Ob sie nun Sand in den Augen hatte oder vor Stolz über den unbeugsamen Willen ihres Ehemanns ein paar Tränchen vergoss, ist im Nachgang nicht mehr hundertprozentig zu klären. Ich auf jeden Fall mutmaßte Zweiteres und dachte nicht mal im Ansatz darüber nach, wegen der paar kleinen Blessuren zu kapitulieren. Deshalb scheute ich mich auch nicht, der nächsten Gefahr ins Auge zu sehen. Standweitsprung! Sie lächeln? Dazu besteht überhaupt kein Grund. Es handelt sich um eine der anspruchsvollsten technischen Disziplinen, die unsere Leichtathletik zu bieten hat. Hier gilt es, sich in die Luft zu katapultieren, um mit einem eleganten Vorwärtsschwung den kompletten Körper in der Sandgrube landen zu lassen. Nachdem ich meine Muskeln entsprechend gelockert hatte, ließ ich die Arme von unten nach oben schwingen, erst einmal, dann zweimal, dreimal – und es passierte unglaublicherweise nichts. Dieser Körper, vielleicht im Laufe der Jahre ein wenig schwerer geworden, bewegte sich keinen Zentimeter vom Boden weg. Sportler sollten übrigens in diesem Zusammenhang niemals die Erdanziehungskraft unterschätzen. Was sollte ich gegen diese übermächtigen Kräfte ausrichten? Doch so einfach wollte ich mich nicht geschlagen geben, und siehe da, beim fünfzehnten Versuch erhob ich mich in die Lüfte und flog und flog, bis mein komplettes Kampfgewicht mit voller Wucht in den Sand gepresst wurde.
Ja – ich war schon ein wenig stolz, als ich sah, wie weit ich mit meinem Sprung am Ende gekommen war. Die Markierung meines Aufpralls lag in einem halben Meter Tiefe und somit musste ich mich erst aus dem Krater herauswinden. Aber immerhin war somit das Messergebnis gut sichtbar: respektable ein Meter siebenunddreißig. Das war mein allerbestes Ergebnis in dieser Sparte, was teilweise daran lag, dass ich mich nie vorher in meiner sportlichen Laufbahn an einen so waghalsigen Sprung herangewagt hatte. Zum Glück habe ich aktuell mein Jahres-Höchstgewicht.
Wer weiß, ob und wo ich mit 10 Kilogramm weniger gelandet wäre. Schon während des Flugs spürte ich eine brutale Zerrung im Oberschenkel und bei der Landung tat die Achillessehne ihren letzten Muckser. Doch das erwartet man von uns Leistungssportlern, dass wir alles geben auf dem Weg zum Ziel. Meine Frau, die inzwischen alle Trainingseinheiten mit Bravour erfüllt hatte, sagte freudestrahlend: „Ich habe noch nicht mal richtig geschwitzt!“ Oh, wie ich sie liebe! Auf dem Nachhauseweg philosophierten wir darüber, wann wir das Sportabzeichen machen wollten. Ich habe mich erst einmal für einen Antrag zur Sportinvalidität entschieden. Und überhaupt, wer braucht schon so ein läppisches Abzeichen. Wichtig ist, dass es in dir steckt. Und wer weiß, wohin mich – ohne den Staub, die Hitze, die Schwerkraft oder die Trainingsverletzungen – mein sportlicher Weg am Ende geführt hätte …
Es könnte jetzt auch weitergehen mit der Runde an Tafel, allerdings wäre „der Tafelrunde“ grammatikalisch falsch, deshalb und nur deshalb habe ich die weibliche Variante für dieses Gedicht gewählt 😉
#Die Tafelrunde oder die Runde an der Tafel
Die runde Kunigunde
hatte stets was im Munde
und das zu jeder Stunde in jeder Runde.
Selbst Käthe, die das Buffet niedermähte,
frönte ohne Frust ihrer Fleischeslust.
Henriette ging niemals zu Bette,
nichts war im Lot ohne Abendbrot.
Grete, die nach dem Essen spähte,
kaum aufgetaut, da wars schon verdaut.
Hildegard war immer am Start,
sprach über Ekzeme – bei Schokocreme.
Sogar Brunhilde führt was im Schilde.
Gespräch ohne Worte, begleitet von Torte.
Mit dem Wissen, dass jeder Bissen,
so man schätzte, wäre der letzte.